Ängste und Angststörungen verstehen
Hier erfährst du mehr darüber, warum Angst nicht per se schlecht ist, wann Angst krankhafte Züge annimmt, welche Formen der Angsterkrankungen es gibt und wie sie entstehen.
Die „normale“ Angst
Jede*r von uns hat mal Angst. Angst fühlt sich zwar schlecht an, ist aber nichts per se Schlechtes! Angst ist ein uralter Mechanismus unseres Körpers, der uns schützen will. Sie ist eine natürliche Alarmreaktion auf bedrohliche Situationen und bereitet uns auf entsprechende Reaktionen vor.
Unser Körper reagiert auf Angst mit einem Anstieg des Blutdrucks, einer flacheren und schnelleren Atmung, die Verdauung wird gebremst und unsere Muskeln spannen sich an, um Energie bereitzustellen. Gedanklich setzt uns die Angst „Scheuklappen“ auf, um unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Bedrohung zu richten und alles andere auszublenden. Unser Verhalten kommt in den „Fight, Flight or Freeze“ Modus, was bedeutet, dass wir uns bereit machen, anzugreifen, zu flüchten oder einzufrieren bzw. in eine Starre zu verfallen.
Angststörungen
Im Vergleich zur normalen Angst, zeigt sich die Angst bei Angststörungen häufiger und stärker. Bei Angststörungen ist ein Unterschied zu einer dem Entwicklungsalter angemessenen Angst erkennbar. Die Angst ist nicht nur unangemessen stark, sondern lässt sich nur schwer oder gar nicht kontrollieren. Personen beginnen häufig, bestimmte Situationen, in denen die Angst groß ist, zu vermeiden. Dies führt zu einer Beeinträchtigung im alltäglichen Leben und geht meist mit einem starken Leidensdruck einher. In diesem Fall ist die Angst krankheitswertig.
Angsterkrankungen stellen mit ca. 61,5 Mio. Betroffenen die häufigste neuropsychiatrische Erkrankung dar. Statistisch gesehen, trifft 15% der Menschen einmal im Laufe ihres Lebens eine Angststörungen. Vor allem während der Corona-Pandemie ist es, vor allem bei jüngeren Personen, zu einem deutlichen Anstieg von Angstsymptomen bzw. der generalisierten Angststörung gekommen. Häufig kommt es bei Angststörungen auch zu chronischen Verläufen. Frauen sind fast doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Bei Angststörungen kann man zwischen folgenden unterscheiden: 1) spezifische Phobien, 2) generalisierte Angststörung, 3) soziale Phobie, 4) Agoraphobie und 5) Panikstörung.
Entstehung
Die Entstehung von Angststörungen wird durch biologische, umweltbedingte und psychosoziale Risikofaktoren bedingt und gilt somit als multifaktoriell. Genetik, Umwelteinflüsse wie Traumata, akuter Stress, epigenetische Mechanismen, Dysbalancen in den Neurotransmittersystemen und psychologische Faktoren, wie z.B. Bindungsstile, familiäre Faktoren, Lernerfahrungen oder Defizite in der Emotionsregulation können die Entstehung einer Angststörung begünstigen.
Genetik
Angststörungen treten bei Verwandten ersten Grades von Patient*innen mit einer Angststörung 3- bis 5-mal häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Sie haben eine Vererbbarkeit (Heritabilität) von 30-68%. Der Effekt der Gene auf die Entstehung einer Angststörung ist aber nicht unabhängig von diversen Umweltfaktoren zu sehen.
Neurobiologie
Für eine Angsterkrankung können außerdem Störungen in der Vernetzung des neuronalen Angstnetzwerks verantwortlich sein. Eine geminderte Hemmung der Amygdala-Aktivität, eines bestimmten Hirn-Areals, kann ein Grund für die Entstehung der Erkrankung sein.
Umweltbedingte und psychosoziale Risikofaktoren
Aus psychologischer Perspektive sind Lernprozesse die wichtigsten Faktoren bei der Entstehung einer Angststörung. Lernprozesse werden maßgeblich von Erwartungen mitbestimmt, welche Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse lenken. Wenn Informationen auf überängstliche Weise verarbeitet werden, können langfristig maladaptive Bewältigungsreaktionen entstehen (z.B. übertriebenes Sicherheitsverhalten, Unterdrückung von Gedanken, Vermeidungsverhalten). Durch die Vermeidung können sich diese, aufgrund fehlender korrektiver Erfahrungen, verfestigen.
Die Weitergabe von Angststörungen in der Familie passiert vorrangig über Erziehungsstile. Besonders auffallend sind dabei Überbehütung und das Lernen am Modell (d.h. am Beispiel der Eltern). Für die Entwicklung der Kinder ist es wichtig, auch risikobehaftet spielen zu dürfen, da dieses einer späteren Entstehung unverhältnismäßiger Angst entgegenwirkt. Jene Spielformen werden aber häufig von ängstlichen Eltern unterbunden.